VGH Baden-Württemberg: Erfordernis der Barrierefreiheit gilt auch für Fitness-Studio 14.11.04
Beitrag Nr. 56549 vom 08.11.2004 +++
Die Bauherrin eines Fitness-Studios im EG/OG eines neu zu errichtenden Gebäudes wandte sich gegen die Nebenbestimmung zur Baugenehmigung, wonach bis zur Inbenutzungsnahme ergänzend ein betriebsbereiter Lift einzubauen sei. Die bauaufsichtliche Forderung fußte auf § 39 Abs. 2 Nr. 6 LBO BW. Widerspruch und Klage blieben erfolglos. Der VGH Baden-Württemberg trat mit Urteil vom 27.09.2004 - 3 S 1719/03 der Rechtsauffassung der Vorinstanz bei.
Einrede der Betreiberin: Lift wäre nutzlos und folglich zu teuer
Die Bauherrin konnte die Forderung der Baugenehmigungsbehörde nicht nachvollziehen, da es für einen Aufzug in einem Fitness-Studio mangels Nachfrage von Behinderten keinen Bedarf gäbe. Auch als Trainer und sonstige Bedienstete (z. B. für Theken- und Putzdienst) kämen Menschen mit Behinderungen nicht in Betracht. Im übrigen würde es sich nicht um eine öffentliche, sondern um eine private Sportanlage handeln. Die Mitglieder müssten Entgelte zahlen. Da der geforderte Aufzug demnach nutzlos wäre, würden die Mehrkosten von ca. 20.000 Euro unverhältnismäßig sein und die Durchsetzung der bauordnungsrechtlichen Norm zu einer offenbar vom Gesetzgeber nicht beabsichtigten Härte führen.
Gegenargumente der Bauaufsichtsbehörde und der 1. Instanz ( =VG Freiburg)
Nach § 39 Abs. 2 Nr. 6 LBO BW müssen Sport-, Spiel- und Erholungsanlagen sowie Schwimmbäder barrierefrei errichtet werden. Das Fitness-Studio ist eine Sportanlage, da es unstreitig der körperlichen Ertüchtigung dient. Hierbei unterscheidet die Norm nicht zwischen öffentlichen und privaten Einrichtungen. Der weit verbreitete Behindertensport zeigt, dass ein entsprechender Bedarf besteht. Die o. g. Norm soll im übrigen nicht nur die Nutzer, sondern auch die Beschäftigten schützen.
Obergericht weist Berufung als unbegründet zurück
Nach Auffassung des Obergerichtes ist § 39 Abs. 2 Nr. 6 LBO BW eindeutig anwendbar, da es sich bei dem öffentlich zugänglichen Fitness-Studio um eine Sportanlage i. S. d. der Vorschrift handelt. Das Gesetz stellt keine weiteren Anforderungen an Größe und Bedeutung der Einrichtung. Die Sportanlage muss folglich barrierefrei errichtet werden, wobei es nicht darauf ankommt, ob die Anlage schon bisher oder üblicherweise von behinderten bzw. alten Menschen genutzt wird. Auch das Argument, dass sich im OG nur Laufbänder bzw. Ergometer und ein Büroraum befinden, schließt eine mögliche Nutzung durch Behinderte usw. nicht aus. An der Barrierefreiheit solcher Einrichtungen besteht ein erhebliches öffentliches Interesse. Die Forderung der Barrierefreiheit dient der Schaffung gleicher Lebensbedingungen für Behinderte. Demgegenüber kommt dem in erster Linie wirtschaftlich motivierten Interesse der Bauherrin ein geringeres Gewicht zu. Die bauaufsichtliche Forderung nach einem Lift ist vor diesem Hintergrund verhältnismäßig, die Mehrkosten muss die Bauherrin in Kauf nehmen.